,,Der Gallatag in Krähwinkel“ Neue Aufführung in Frankfurt am Main (1835)

von | 17/07/2021

Quelle: „Theatralisches Bülletin aus Frankfurt“, in: Phönix 80 (3.4.1835), S. 319

(Neu einstudirt.) ,,Der Gallatag in Krähwinkel“, Posse von Kotzebue. (Fortsetzung der deutschen Kleinstädter.)

Wieder ein alter Bekannter, indeß ein Bekannter, von Humor und Laune, der in den ehemaligen freien Reichsstädten gelebt, und uns Dinge über dieselben erzählt, deren Wahrheit, trotz dem, daß sie mit etwas starken Farben entworfen sind, sehr Viele der Zuschauer, die das vorige Jahrhundert, vor 1792, in der Wirklichkeit kannten, werden bezeugen müssen. Wir jungen Leute aus diesem Saeculum kennen die Krähwinkel-Natur, diese ächte, in ursprünglicher Reinheit erhaltene nur von Hörensagen; aber wir sehen es dem „Gallatag“ an, er erzählt uns keine Lügen, die Satyre kömmt hier so ganz und gar aus dem Herzen des Dichters, daß man es wohl fühlt, wie ihr keine Fiktion zum Grunde liege. Nennet mir einen unserer jetzigen Lustspieldichter der ein so reichhaltiges komisches Leben bietet, wie Kotzebue. Und wie natürlich sind die Situationen herbeigeführt! Hier ist auch Effekt, aber er ist, selbst karrikirt, ein Resultat des Lebens, und tritt uns nicht, wie ein deus ex machina, der mühsam von dem Dichter zusammengeflickt ist, vor unsere Augen. Es ist bekannt, Kotzebue hat häufig französische Originale zu seinen Lustspielen benutzt, aber eines Theils war die ältere französische Komödie bei Weitem reichhaltiger an Charakteristik, als die jetzige von Scribe, Melesville u.s.w.; andern Theils aber verstand es Kotzebue trefflich, das französische Original zu verdeutschen, d. h. ganz und gar deutsch zu machen. Unsere heutigen Lustspieldichter dagegen bieten häufig Originale; aber sie werfen dabei stets Seitenblicke nach Frankreich, und, statt die Wahrheit sich angelegen sein zu lassen, stellen sie den Effekt voran, unmotivirt, unwahrscheinlich, aber glänzend. Kotzebue war ein vorzüglicher Lustspiel-Dichter, weil er nie die Tendenz des Lustspiels über das Amusement des Publikums vergaß; unsere heutigen Autoren denken dagegen zunächst an das Publikum, und lassen den moralischen Zweck der Poesie außer Acht. Somit erhalten wir denn manche Dichtung, die uns lachen macht, aber selten eine, die uns zum Nachdenken auffordert. – ,,Der Doppelgänger“, Raupach’s Lustspiele, Bauernfeld’s „Abentheuer“, ja sogar seine „Bekenntnisse“ – sie sind alle mehr auf den Effekt, als auf Charakteristik und Leben zugeschnitten; sie sind in die neueste Mode gekleidet, aber ohne geistigen Anklang, obwohl Bauernfeld insonderheit die deutsche Gefühlsweise und bürgerliche Sentimentalität in den Effekt zu verweben weiß. Kotzebue’s Lustspiele können veraltern, weil sich Sitten, Unsitten und Mode im Volke ändern; aber der Nachwuchs der Lustspieldichter bietet uns, bis jetzt wenigstens, keinen Ersatz für ihn: sie Alle denken zunächst an die Bühne, statt an die Welt. – […]

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