“Johanna, die edle Mulattin” – Ein weiteres Kolonialdrama Kotzebues?

von | 03/05/2021

Gastbeitrag von Julia Bohnengel (Heidelberg)

“Johanna, die edle Mulattin” – Ein weiteres Kolonialdrama Kotzebues?

Seit den Studien von Susanne M. Zantop steht die große Rolle, die August von Kotzebue für den Kolonialdiskurs des späten 18. und 19. Jahrhunderts in Deutschland spielt, außer Frage. Ich möchte zu dem bekannten Korpus an größeren und kleineren Dramen Kotzebues (u.a. Die NegersklavenLa PeyrouseDie Indianer in EnglandDie Sonnenjungfrau, Der Besuch etc.) die Möglichkeit eines weiteren, bislang von der Forschung nicht berücksichtigten Stückes ins Spiel bringen: Johanna, die edle Mulattin, oder: die Trennung. Erschienen ist es 1806 u.a. in der Augsburger Sammlung Neueste deutsche Schaubühne, vermutlich als Nachdruck bei J.A. Kienreich in Graz und in mindestens einer weiteren Ausgabe ohne Verlags- und Ortsangabe – aber immer mit der Angabe „von August v. Kotzebue“. In Kotzebues Werkausgaben ist es jedoch nicht enthalten, im Goedeke (Bd. 15, 1966, S. 272) erscheint es in der Rubrik „Werke, bei denen K.s Autorschaft nicht feststeht“.

In Szene setzt das Stück eine koloniale Liebesgeschichte, die weithin bekannt und populär war. Sie geht auf den Bericht von Johan Gabriel Stedman zurück, der 1773-76 als Hauptmann an der Niederschlagung des Sklavenaufstands in der niederlän­dischen Kolonie Surinam beteiligt war und dessen Erinnerungen 1796 unter dem Titel Narrative of a five years expedition against the Revolted Negroes of Surinam mit Illustrationen von William Blake publiziert wurden. Während der Text einerseits als wichtige Quelle für die abolitionistische Bewegung gilt, weil er schonungslos von der Brutalität der Plantagenbesitzer berichtet, heben andere die Dominanz des kolonialen Blicks und die Verteidigung der Sklaverei hervor.

“Johanna, die edle Mulattin” – Ein weiteres Kolonialdrama Kotzebues?

Stedman erzählt darin auch von seiner Liebe zu der fünfzehnjährigen ‚Mulatten-Sklavin‘ Joanna, der Tochter eines Plantagenbesitzers, die ihn pflegte, als er krank war. Die beiden bekamen einen Sohn; als Stedman jedoch nach Europa zurückkehrte, ließ er Joanna zurück und rechtfertigte dies mit ihrer eigenen Entscheidung. Aufgrund ihrer sozialen Stellung habe sie weder für Stedman noch für sich eine Perspektive für ein würdevolles Leben in Europa gesehen.

In dem zweiaktigen Drama Johanna, die edle Mulattin spielen weder der Sklavenaufstand noch Stedmanns ursprüngliche militärische Aufgabe noch Johannas Eigenschaft als Sklavin und ‚Mulattin‘ eine Rolle. Auch die Liebesgeschichte ist verkürzt: Die Handlung setzt ein, als Stedmann durch Johannas Pflege genesen ist und sie in der Hütte bei ihrem Vater besucht. Die beiden lieben sich, ihrem Glück steht nur die drohende Heimkehr Stedmanns entgegen. Als Stedmann tatsächlich durch einen Seeoffizier nach Hause beordert wird, weil sein König und Vater ihn gleichermaßen brauchen, fordert er Johanna auf, mit ihm zu kommen, in Europa zu heiraten und eine Familie zu gründen. Doch Johanna lehnt ab, obwohl ihr alter Vater sie frei wählen lässt: Nicht aus Gründen der kolonialen Konstellation wie in Stedmans Narrative, sondern allein aufgrund ihrer familiären Rolle entscheidet sich Johanna für ihre töchterliche „Pflicht“ (II, 8) und lässt Stedmann ziehen.

“Johanna, die edle Mulattin” – Ein weiteres Kolonialdrama Kotzebues?

Eliminiert ist im Text nicht nur der koloniale Hintergrund, sondern auch der gemeinsame Sohn. Johanna wird auf diese Weise zu einer Figur, die sich außer durch die Bezeichnung „Mulattin“ in nichts von ihren tugendhaften Schwestern in Europa unterscheidet; sie ist, im Gegenteil, ebenso eine ihren Vater über alles liebende Tochter, eine durch Krankheit hinwelkende „Rose“ (II, 1), wie Emilia Galotti oder Luise Miller. Wenn es auf der einen Seite scheint, als ignoriere der Verfasser die hierarchische Beziehung in der kolonialen Konstellation des Liebespaars und als bringe die Ausblendung der kolonialen Hintergründe eine eklatante Verharmlosung und Missachtung des durch Stedman berichteten Leids mit sich, so durchkreuzt er zugleich den kolonialen Diskurs: Indem Johanna nur in ihrer Funktion als Tochter und Geliebte gezeigt wird, gesteht er ihr dieselben Konflikte wie ihren europäischen ‚Schwestern‘ zu. Sie agiert – anders als Gurli oder Malwina – gerade nicht als eine ‚edle Wilde‘. Zugleich dürfte dem Publikum durch den Titel und die Namen der Protagonisten der koloniale Hintergrund vor Augen gestanden haben, war die Geschichte doch auch in Deutschland durch Übersetzungen und Bearbeitungen von Stedmans Text etwa in E.A.W. von Zimmermanns Taschenbuch der Reisen (1803) weithin bekannt.

Zugleich – und das spricht im Übrigen für Kotzebues Verfasserschaft – hat Kotzebue an anderer Stelle die brutalen Seiten der Sklavenhaltung aus Stedmans Vorlage nachgerade hervorgehoben. In seiner Erzählung Die Gefahren der Einbildungskraft (1811) greift er explizit auf Stedmans Narrative zurück und verstärkt darin die sklavereikritischen Elemente, indem er die bei Stedman über den ganzen Text verteilten Episoden unmittelbar aneinanderreiht, die die brutale Behandlung durch die Plantagenbesitzer in aller Drastik schildern.

Zu sehen ist das Drama auch im Kontext anderer Dramen aus dem gleichen Zeitraum, die ebenfalls die Liebesgeschichte in Szene setzen, bes. zu Franz Kratters Die Sklavin in Surinam. Ein Schauspiel in fünf Aufzügen (Frankfurt/M. 1804) und zu John C. Cross’ Johanna of Surinam, aufgeführt am 2. Juli 1804 im Royal Circus, Blackfriars, London (der Text scheint verloren, es existieren aber Noten und Lieder zu dem Stück).

Kommentare, Hinweise, Einwände und Anmerkungen zu diesem kleinen Projekt sind sehr willkommen!

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