Quelle: [August von Kotzebue:] Eine Reise der Nase nach. Dritter Brief. (Mainz den 3. Mai),
in: Literarisches Wochenblatt von August von Kotzebue. Bd. 2, Nr. 1 (1818), S. 5-7, hier S. 7.
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Schon einmal, vor 27 Jahren, fuhr ich von Mainz nach Wisbaden mit zwei der geistreichsten, liebenswürdigsten und gemüthlichsten[1] Männern, mit Forster und Huber. Ohne andere Gesellschaft hielten wir drei ein fröhliches Mittagsmahl und kehrten in der Dämmerung sehr heiter in Forster’s Wohnung zu seiner geistvollen Gattin zurück, derselben, die noch jetzt als Therese Huber, dem gebildeten Publikum lieb ist, von der auch Sie, liebe Freundin,[2] so manches und so gern gelesen haben. Es war ein froher Abend nach einem frohen Tage. Nun sind Forster und Huber beide todt! Jener, aus dessen Hand ich noch eine schöne Uebersetzung der Sacantola[3] besitze, wurde zu Pichegrü’s Zeiten in die Begebenheiten der Revolution verwickelt. Er, mit dem wohlwollendsten Herzen, gewiß nur Volksglück wünschend und befördern wollend, wurde ein thätiges Mitglied des Mainzer Jacobiner-Klubs, sah sich am Ende schmerzlich getäuscht und starb, vermuthlich ein Opfer dieser Täuschung.[4] Welchen gutgearteten, lebhaft fühlenden Menschen konnte damals nicht dasselbe Schicksal treffen? Es hat wohl mancher höhnend einen Stein auf des edeln Forster’s Grab geworfen; mancher, der ihm den Schuhriemen aufzulösen nicht werth war, und den vielleicht nur der Zufall oder eine eiskalte Vernunft vor Abwegen bewahrte. Nimmer soll mir das Andenken jenes redlichen Mannes darum minder heilig seyn, weil er in seinen letzten Tagen das stürmische Meer der Revolution nicht so glücklich durchschiffte, als einst mit Cook den stürmischen Ocean.
– Und mein guter Huber! der helle Kopf, der gemüthliche Mensch! auch er ist todt![5] Seine Freundschaft, sein offenes Herz, seine Geistesfülle haben manche Blumen auf meinen Weg gestreut, Blumen, die mir nicht ganz verwelkt sind, deren verblichene Farben ich gern noch heute durch eine Thräne wieder auffrische. – O es ist ein trauriges Gefühl, wenn die alten gleichgesinnten Freunde uns nach und nach verlassen, und wir endlich allein in einer fremden Welt stehen bleiben, die ihre Begriffe wie die Kleidermoden gewechselt hat, und mit der wir uns, nicht mehr befreunden können! – Ruhet sanft, ihr Edlen! auf deren Geist Deutschland, so wie ich auf Eure Freundschaft stolz seyn durfte:
In dieser Stimmung, liebe Freundin, werden Sie nicht von mir erwarten, daß ich Ihnen den prächtigen Kursaal in Wisbaden beschreibe.
[1] Im Sinne von ‚nicht nur den Verstand, sondern auch das Gemüt ansprechend‘.
[2] Die Reisebriefe Kotzebues sind an eine imaginative, namentlich nicht genannte Dame gerichtet, die als Spiegelungsinstanz für das Erzähler-Ich fungiert.
[3] Sakontala, oder der entscheidende Ring. Ein indisches Schauspiel von Kalidas. Aus den Ursprachen Sanskrit und Prakrit ins Englische und aus diesem ins Deutsche übersezt, mit Erläuterungen von Georg Forster. Mainz und Leipzig: Fischer, 1791. Online lesen
[4] Georg Forster im Januar 1794, noch nicht vierzigjährig, an einer Lungenentzündung in einer kleinen Dachwohnung in der Rue des Moulins in Paris
[5] Ludwig Ferdinand Huber starb am 24. Dezember 1804 in Ulm.