Badische Depesche über die Ermordung Kotzebues schreckt Petersburg auf (1819)

von | 16/04/2021

Quelle: Blittersdorff, Ph., „Die Depesche über Sands Mordtat. Nach einem alten Tagebuche“, in: Tages-Post (Linz). 18 (23.1.1927), S. 1-2.
[Der Verfasser des Artikels zitiert aus dem Tagebuch seines Großvaters, des Freiherrn Friedrich von Blittersdorff, der in den Jahren 1818-1819 als großherzoglich-badischer Geschäftsträger am russischen Kaiserhof akkreditiert war].

***

Am 4. April 1819 war ich wieder einmal bei meinem edlen Gönner, dem Grafen Nikolai Petrowitsch Rumanzow eingeladen. Schon unter Katharina II. einer der ersten Staatsdiener, hatte Alexander I. den Grafen zum Reichskanzler erhoben. Völlige Taubheit, wohl infolge eines Nervenschlages, machte seiner Karriere ein vorzeitiges Ende, doch vermochte sie den heiteren, ausgeglichenen Charakter Romanzows nicht zu beeinflussen. Allerdings konnte der geistreiche Mann nicht mehr an der Unterhaltung teilnehmen. doch seine Liebe zu den Wissenschaften war ihm verblieben und seine Hauptbeschäftigung bildete nun die Lektüre. Auch darin war er sich gleich geblieben, daß jeder Gelehrter und Künstler bei ihm freien Zutritt hatte, ja er ging ihnen mit seinen reichen Mitteln zur Hand. Stellte ihnen seine großartige Bibliothek zur Verfügung, streckte ihnen für ihre Forschungen große Summen vor und ließ sogar ihre Werke auf seine Kosten drucken. Fürwahr ein Mäzen in effigie!

Mit mir waren heute noch folgende Gäste geladen: Gleich drei Mitglieder der Akademie der Wissenschaften, die Staatsräte v. Storch und v. Adelung, letzterer der bekannte Linguist, und der Philosoph Krug, dann der Direktor des Kadettenkorps Friedrich Max Klinger, der durch sein „Sturm und Drang“ einer Dichterperiode den Namen geben sollte und ein enger Freund Schlossers, des Gatten der Kornelia Goethe, war. Endlich muß ich noch den dänischen Linguisten Rusk nennen, der gerade von Island und Schottland kam, wo er die dortigen Idiome studiert hatte.

Ein köstliches Diner lag hinter uns und nun saßen wir in dem mit Kunstschätzen angehäuften Arbeitszimmer des Grafen um dessen großen Diplomatenschreibtisch, an dem Romanzow, sein Meerschaumpfeifchen rauchend und in ein Buch vertieft, im Lehnstuhle ruhte. Der Gute hatte uns hier noch schweren spanischen Wein kredenzen und ein silbernes Fäßchen mit Malosol (Kaviar) zum Zulangen bereitstellen lassen. Während sich die vier Gelehrten in einen Disput über die Sanskritsprache einließen, saß ich an einem Nebentische und hatte mir von den darauf bergartig aufgestapelten Werken ganz zufällig die „Entdeckungsreise in die Südsee und nach der Beringstraße 1815-1818 des jungen Seefahrers Otto von Kotzebue (hic nomen est omen!) vorgenommein. Dieser Kotzebue war auch einer der vielen Protégés des Kanzlers. Die dreijährige Fahrt auf dem „Rurik“, an der auch Chamisso und Eschscholtz teilnahmen, soll dem Grafen 200.000 Rubel gekostet haben. Allerdings wurden dafür 400 Inseln neu entdeckt!

Während ich in dem Werke blätterte und dabei öfter einen bewundernden Blick durch die riesige Spiegelglastür in das Nebenzimmer warf, aus dem mir die herrliche, überlebensgroße Friedensgöttin von Canova schelmisch entgegenlächelte, war lautlos ein Lakai eingetreten und überreichte mir eine eben angekommene Depesche meines badischen auswärtigen Amtes. Ich hatte nämlich Auftrag gegeben, dringende Geschäftsstücke mir immer sofort zuzustellen, auch wohnte ich ja ganz in der Nähe in der Wirtschaft der Madame Demuth. Erstaunt öffnete ich das große Kuvert. Mein Staatsminister Freiherr von Berstett sandte mir den Direktorialbericht aus dem Neckarkreise vom 23. März 1819, der wörtlich lautete:

„Heute abends fünf Uhr ist der Kaiserliche russische Etatsrat v. Kotzebue in seiner Wohnung durch mehrere Dolchstiche tödlich verwundet worden und nach inzwischen geschehener Anzeige an seinen Wunden bereits gestorben. Der Mörder, ein Mensch, dem Anscheine nach von 24 Jahren, eilte nach vollbrachter Tat aus dem Hause und vor der Haustür auf der Straße stach er sich selbst den Dolch in die Brust, er lebt in diesem Augenblick noch. Ob er aber noch Bewußtsein hat, läßt sich bis jetzt mit Gewißheit nicht sagen. Nach einem in seiner Rocktasche gefundenen Matrikel der Universität Erlangen hieß er Karl Friedrich Sand und war Stud. Theologiae. Dieser Matrikel ist vom Monat Dezember 1810 datiert. In dem hiesigen Gasthofe, in welchem er nach Aussage der Wirtsleute heute früh allein angekommen ist, hat er den Namen Hemrichs [sic], Student aus Erlangen, angegeben. Nach bei ihm gefundener Schrift hat er diese Mordtat schon lange Jahre prämeditiert und sich selbst dem Tode geweiht gehabt. Er scheint daher in einer Verbindung gestanden zu haben, was diese Mordtat so viel schrecklicher macht.“

Berstett hatte einen eigenen Brief beigelegt, worin er sagte, die bei Sand vorgefundene Schrift sei eine Proklamation an die Deutschen auf einem außergewöhnlichen Patentformular, sie enthalte schwärmerische Ideen, die an Wahnsinn grenzten. Dann beauftragte er mich, sofort den russischen Hof zu versichern, daß der Großherzog alles aufbieten werde, um die Spuren des Zusammenhanges aufzufinden, es würde auch unbedingt nötig sein, gemeinsame Maßregeln zu beraten, deren Dringlichkeit dieses schreckliche Ereignis „nur zu schreiend ausgerufen habe“.

So überaus peinlich mir diese Nachricht auch war, sie mußte in Petersburger Hofkreisen geradezu wie eine Bombe wirken. Um den Ermordeten ging es Mir weniger, ich kannte ihn kaum und wußte nur, daß er seiner Phantasie nicht nur in seinen Lustspielen, sondern auch in seinen Berichten hieher allzufreien Lauf gelassen hatte. Aber meine Mission stand in Gefahr, zu scheitern. Ich sollte ja Nesselrode für den Territorialstreit mit Bayern, den Kaiser aber für das allerdings vor zwei Jahren anerkannte, aber doch aus unebenbürtiger Ehe stammende badische Haus Hochberg günstig stimmen und seine Geneigtheit zu einer Vermählung des präsumtiven Großherzogs, des jetzigen Markgrafen Leopold von Baden-Hochberg, mit Alexanders Mündel, der Prinzessin Wilhelmine von Schweden, erreichen. Ich hatte in allen drei Angelegenheiten bisher mit Erfolg vorgearbeitet und jetzt kam mir dieser Mord an einem russischen Staarsrat auf badischem Boden dazwischen! Eben noch war ich in den vom Sohne Kotzebue entdeckten Gefilden der Seligen versunken gewesen und nun stand das blutige Gespenst seines Vaters drohend vor mir.

Ich sprang auf, ließ die erstaunten Gelehrten, den offiziellen Direktorialbericht lesen, bat sie- den Grasen davon in Kenntnis zu setzen und mich zu entschuldigen und stürzte in mein nahes Quartier, um sofort zum Minister des Aeußern. Grafen Nesselrode, zu eilen. Er war aber in Peterhof und ich wurde erst am 5. April vorgelassen.

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