Kotzebue über die Vielschreiber

von | 03/05/2021

Gastbeitrag von Nora Ramtke (Bochum)

Der Zusammenhang von ästhetischer Qualität, schriftstellerischer Quantität und Erfolg stellt sich bei Kotzebue schon im zeitgenössischen Horizont als Problem dar. In der literarischen Öffentlichkeit wird Kotzebue als „fruchtbare[r] dramatische[r] Dichter“ gehandelt, „der einst vielleicht, wenn seine oft superfötirende Fruchtbarkeit sich neben dem Erzeugen auch das Erziehen gefallen lassen wollte, klassisch werden könnte“ (Morgenblatt für gebildete Stände Nr. 210, 1. September 1810, S. 837). Dass und warum „mancher vornehm die Nase über ein fruchtbares Genie“ rümpft, treibt ihn daher selbst und geht im Freimüthigen (Bd. 3, Nr. 230, 18. November 1805, S. 503) der Frage nach, „warum der Titel Vielschreiber eine Art von Beschimpfung geworden?“:

Kann mir jemand erklären; warum der Titel Vielschreiber eine Art von Beschimpfung geworden? Aeschylus schrieb siebenzig oder gar neunzig Trauerspiele, wenn wir gleich nur noch sieben davon besitzen. Sophokles schrieb deren über hundert, ob er gleich, als General der Athenienser, auch wohl wichtigere Dinge zu thun hatte. Indessen hat der Dichter den Feldherrn überlebt (wie gar oft geschieht) denn nicht eine Waffenthat, wohl aber sieben Trauerspiele sind der Nachwelt übrig geblieben. Euripides, Vertrauter des Sokrates, Philosoph und Mahler, dichtete hundert und zwanzig Trauerspiele, von welchen wir nur ein Sechstheil noch heute bewundern. Plautus, ein Theater-Prinzipal, machte hundert und dreißig Lustspiele. Die zwanzig die wir noch haben, sind oft von neuern Dichtern geplündert worden.

Wenn Also erwiesen ist, daß alle die vortrefflichen Tragödien- und Comödienschreiber des Alterthums, die wir noch bewundern, (und oft mehr bewundern als sich geziemt) nicht allein gut schrieben, sondern auch viel schrieben, warum rümpft denn mancher vornehm die Nase über ein fruchtbares Genie? und möchte ihm durch den Titel Vielschreiber gern eins anhängen? – Geht es ihnen etwa wie dem Armen, der immer auf den Reichen schimpft, und doch vor sein Leben gern selbst reich wäre?                 Kotzebue.

(Die Fortsetzung folgt.)

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