„Mutter und Kinder küßten unaufhörlich das Blut des Vaters“

von | 16/04/2021

Unbekannter Zeitzeugenbericht von der Ermordung August von Kotzebues (1819).

Originalhandschrift:
Sachakte „Kotzebue, August v., russischer Staatsrat und Schriftsteller in Mannheim“ [Acten des Großherzoglich Hessischen Geheimen Cabinets-Secretariats betreffend: den Staatsrath von Kotzebue insbesondere dessen Ermordung].
Hessisches Landesarchiv, Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, D 12 Nr. 28/16.
Digitalisat: <https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v1957640>

[Verfasser(in) und Adressat(in) nicht ermittelt; offensichtlich Personen aus dem Mannheimer und/oder Darmstädter Theatermilieu]

Transkription: Rolf Haaser

***

Mannheim d. 24 Merz 1819

Denken Sie, welch schrekliche Scene gestern hier vorgefallen:
Kotzebue ist in seinem Hause, im Kreise seiner Familie ermordet worden.

Gestern Mittag kommt ein wohlgekleideter Mann in Kotzebues Hause, fragt nach demselben, und da er abwesend ist, hinterlässt er dem Bedienten; er sey ein Gast aus Mietau, der Aufträge an Herrn von Kotzebue habe, er werde deshalb Nachmittag wieder kommen.

Um fünf Uhr, als Kotzebue bey seiner Familie und einigen anwesenden Freunden recht heiter ist, wird ihm der junge Mann wieder gemeldet. Er geht in ein anderes Zimmer, um ihn zu empfangen, Der junge Mann tritt auf ihn zu und frägt: “Sind Sie der Herr von Kotzebue?” – Ja. – “ich habe einen Auftrag an Sie, vom Leben zum Tode” schreit er, und stößt Kotzebue einen langen Dolch gerade ins Herz. Auf den Lärmen eilt zuerst die älteste Tochter Kotzebues herzu, findet ihren Vater sich die Wunde haltend, niedersinken, der Mörder liegt am Boden; sie faßt den Vater in ihren Armen auf, und nun eilt alles herbey. Der Mörder springt auf, und will auf die Frau von Kotzebue los, wird aber durch die Bedienten daran verhindert – eilt die Treppe hinab – vor Kotzebues Hause ruft er triumphirend: “Vivat Teutonia!” stößt sich einen Dolch in die Brust, fällt auf die Knie, betet, ruft noch: “gottlob es ist vollbracht!” und sinkt um.

So kam ich dazu, den Mörder in seinem Blute liegend vor Kotzebue’s Hause. Auf die Nachricht, daß Letzterer verwundet sey, eilte ich sogleich ins Haus, fand ihn aber schon todt. Er hat keine fünf Minuten gelebt – kein Wort mehr gesprochen, einen Stich ins Herz – einen in die Brust und zwey leichte Wunden ins Gesicht bekommen.

Bey dem jungen Mann fand man einen Paß, woraus erhellte, daß er aus dem Bayreuthischen sey, und in Würzburg, Theologie studire. Ein anderes Papier fand man bey ihm, worauf stand: “der 23ste März ist der Todes Kotzebue’s!” und worinnen er sagt: er wolle diesen Veräther des Deutschthum’s vom Erdboden hinwegschaffen. Er fodert alle gutgesinnten Deutschen auf, seinem Beyspiel zu folgen und jeden, der den deutschen Freiheitssinn unterdrükken wolle, auf ähnliche Weise zu bestrafen. Er ist einer der schönsten Männer, die ich je gesehen: ganz schwarz alt deutsch gekleidet, einen schwarzen Titus und eine höchst geistreiche Physiognomie.

Der Jammer der Kotzebue’schen Familie ist grenzenlos. Es war schreklich anzusehen, wie Frau und Kinder aus einer Ohnmacht in die andere fielen, und die kleinen Kinder die Doctoren fusfällig baten, den Papa zu retten. Als sie nun die Gewißheit seines Todes erfuhren, – nein, das war schreklich – – !!

Wie ein verklärter Engel bat das kleine Mädchen die Mutter, ruhig zu seyn; der liebe Gott habe es so haben wollen; der Vater sey ja nun beym lieben Gott. Friedrich, Sternberg, alle Anwesenden waren wie zerknirscht, wir mußten alle unsre Mannbarkeit zusammennehmen, um nicht selbst dem Schmerze zu erliegen. Mutter und Kinder küßten unaufhörlich das Blut des Vaters, das an ihren Kleidern klebte.

Die Untersuchung der Sache wird heute beginnen; man glaubt eine Verschwörung der Universitäten zu entdekken. Kotzebue wird sehr feierlich begraben werden. Eben komme ich aus dem Armenhause, wo der Mörder liegt. Denken Sie, er lebt; nimmt einige Nahrung zu sich, und die Ärzte hoffen, daß er davon kommen werde. Er hat erklärt, daß er nichts persönliches gegen Kotzebue und seine Familie gehabt; blos zu Deutschlands Wohl habe er ihn ermordet, und er bereue keinen Augenblikk, was er gethan. Er heißt Carl Sand – sein Vater ist Justizrath in Wunsiedel bey Würzburg.

Eine Stunde von hier ist alles voll Studenten, die nicht die ruhigsten Gesinnungen äussern.

K.

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